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Ich lese… To the Lighthouse

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virginiawoolfDas letzte Mal, dass ich Virginia Woolf gelesen habe, ist eine Ewigkeit her. Ich habe verschwommene Erinnerungen daran, dass mir “Mrs. Dalloway” ganz gut gefallen hat (und dass ich davon überrascht war). Ich las den Roman damals auf Deutsch, kaufte ihn sogar noch mal – auf Englisch. “To the Lighthouse” stand damals auf einer Literaturliste an der Uni. Was meine Professorin dazu erzählte, klang gut, und so legte ich mir auch dieses Buch zu. Bis jetzt wartete es im Regal auf mich.

Ich fing nicht mit einer bestimmten Erwartungshaltung an zu lesen, musste aber gleich feststellen, dass “To the Lighthouse” nicht als Nebenbeibuch zu lesen ist. Es passiert zwar, das muss man schon sagen, an äußerer Handlung wenig, aber dafür sind die Figuren umso komplexer, und es braucht eine Weile, um sie ein bisschen kennenzulernen.
Was genau heißt das? Nun, zunächst das: auf den ersten hundert Seiten geschieht an Handlung kaum mehr als dies: die Ramsays, die wie jedes Jahr im Sommer viel Besuch im Haus haben, verleben einen Tag, an dem absolut nichts Spektakuläres geschieht; und die einzige Beziehung zum Romantitel wird durch den jüngsten Sohn James hergestellt, der sich wünscht, dass sie am kommenden Tag einen Ausflug zum Leuchtturm machen, was sein Vater aber nicht erlaubt, da es seiner Meinung nach regnen wird.

Und das ist alles? Natürlich nicht.
Im Haus der Ramsays treffen wir eine ganze Reihe interessanter Charaktere, die alle so ihre Probleme mit sich herumtragen. Da sind Minta und Paul, über die wir noch (?) nicht viel erfahren bis auf die Tatsache, dass Minta die Tochter von Freunden der Ramsays ist und Mrs. Ramsay sich Sorgen macht, dass zu viel über das Mädchen getratscht werden könnte, wenn es sich zu oft mit einem Mann sehen lässt.
Dann gibt es noch Lily Briscoe, eine eher unauffällige junge Frau, eine Künstlerin, die kein besonderes Selbstbewusstsein hat, was ihre Kunst betrifft. Sie hat Vorstellungen davon, wie ihre Kunstwerke aussehen sollen, doch nicht nur wird sie ihnen nicht gerecht, sie hat auch damit zu kämpfen, dass sie dafür kritisiert wird, dass ihre Kunst nicht versucht, die Wirklichkeit möglichst detailgetreu abzubilden. Der einzige, dem sie ihre Bilder überhaupt zeigt, ist Mr. Bankes, eine Freund der Ramsays, der Lilys Vater sein könnte, mit dem sie sich aber trotzdem besonders gut versteht.
Der auffälligste Gast ist jedoch mit Abstand Charles Tansley, ein Student, der gerade an seiner Dissertation schreibt, und der ziemlich schwierig im Umgang ist. Nicht nur fehlt ihm jedes Gespür für das Zwischenmenschliche, er redet auch endlos über seine Studien und findet Menschen, die ihm intellektuell nicht das Wasser reichen können, offensichtlich kaum des Gesprächs wert.
Dies ändert sich nur ein einziges Mal, nämlich dann, als er Mrs. Ramsay in die Stadt begleitet. Obwohl sie deutlich älter ist als er (um die fünfzig) und nicht unbedingt im klassischen Sinne schön, erliegt er ihrem Charme, was Mrs. Ramsay sehr verwundern dürfte, wenn sie es wüsste, denn sie findet Tansley unglaublich anstrengend.

[W]hen all at once he realised it was this: – she was the most beautiful person he had ever seen.
With stars in her eyes and veils in her hair, with cyclamen and wild violets – what nonsense was he thinking? She was fifty at least; she had eight children. Stepping through fields of flowers and to her breast buds that had broken and lambs that had fallen; with the stars in her eyes and the wind in her hair – He took her bag.
“Good bye, Elsie”, she said, and they walked up the street, she holding her parasol erect and walking as if she expected to meet someone around the corner, while for the first time in his life Charles Tansley felt an extraordinary pride [...]; felt the wind and the cyclamen and the violets for he was walking with a beautiful woman. (p.25)

Ja, sie hat acht Kinder, sie ist verheiratet und versucht, eine gute Ehefrau und Mutter zu sein, es geht ihr nicht darum, Anderen zu imponieren, aber gerade das ist es vielleicht, was die Anderen so an ihr fasziniert. Zumindest die Männer – außer ihrem eigenen Ehemann. Auch Mr. Bankes bewundert Mrs. Ramsay, und seine Gedanken zu ihr finde ich sehr bemerkenswert und sehr schön, auf eine ganz spezielle Art:

For always, he thought, there was something incongruous to be worked into the harmony of her face. She clapped a deer-staler’s hat on her head; she ran across the lawn in goloshes to snatch a child from mischief.So that if it was her beauty merely that one thought of, one must remember the quivering thing, the living thing [...], and work it into the picture; or if one thought of her simply as a woman, one must endow her with some freak of idiosyncrasy – she did not like admiration – or suppose some latent desire to doff her royalty of form as if her beauty bored her and all that men say of beauty, and she wanted only to be like other people, insignificant. (pp. 47-48)

Mrs. Ramsay selbst ist viel zu beschäftigt mit ihrem Leben, um so etwas zu bemerken. Wir erfahren, dass sie all ihre Kinder liebt, aber ein besonderes Verhältnis scheint sie zu ihrem jüngsten Sohn James zu haben – dazu komme ich gleich noch. Was aber an ihr auffällt, ist, dass Mrs. Ramsay selbst (die keinen Vornamen zu haben scheint, sie wird offenbar nur über ihre Ehe definiert) zwar durchaus weiß, dass sie positiv auf andere Menschen wirkt, dass sie aber vor allem bemüht ist, dass ihrem Mann genügend Anerkennung zuteil wird.

[S]he did not like, even for a second, to feel finer than her husband; coud not bear being entirely sure, when she spoke to him, of the truth of what she said. Universities and people wanting him, lectures and books and their being of the highest importance – all that she did not doubt for a moment; but it was their relation, and his coming to her like that, openly, so that any one could see, that discomposed her; for then people said he depended on her, when they must know that of the two he was infinitely the more important and what she gave the world, in comparison with what he gave, negligible. (pp. 61 – 62)

Dies ist aber vor allem das Bild nach außen. Mrs. Ramsay versucht, alles von ihrem Mann fernzuhalten. Könnte mir vorstellen, dass sich die Beziehung der beiden noch verändern wird, zumal sie eigentlich eine selbstbewusste Frau ist, die auch zu den Arbeiten ihres Mannes eine Meinung hat, auch wenn sie die nicht immer verrät.

Am besten gefällt mir aber die Beziehung zwischen Mrs. Ramsay und ihrem jüngsten Sohn James; sie scheint auf den ersten Blick einfach nur von Herzlichkeit und Liebe geprägt, auch wenn sie von James’ Seite so weit geht, dass er seinen Vater verabscheut und die Mutter nicht mit ihm teilen möchte.
Jedenfalls gibt es im ersten Abschnitt viele Szenen, in denen Mutter und Sohn Zeit zusammen verbringen; James schneidet entweder im Beisein seiner Mutter Bilder aus einem Katalog aus, oder er bekommt das Märchen “Vom Fischer und seiner Frau” vorgelesen (ihr wisst schon: “Myne Fru, de Ilsebill, will nich so, as ik wol will…”). Interessant eigentlich – und wohl kein Zufall, dass es gerade das Märchen ist, in dem die böse Frau des Fischers immer mehr und mehr haben will, und der arme Fischer, wenn er wieder ans Wasser kommt, sich einer immer raueren und gefährlicheren See gegenübersieht… zumindest das Meer, Wünsche, unterschiedliche Wünsche unterschiedlicher Menschen, das alles kommt hier schon zum Tragen.
Und so mochte ich auch vor allem die Szenen, in denen das Meer eine Rolle spielt. Da gibt es einen Moment, in dem Mrs. Ramsay darüber nachdenkt, dass das Meeresrauschen häufig eine beruhigende Wirkung auf sie hat, dass es aber zu anderen Zeiten

had no such kindly meaning, but like a ghostly roll of drums remorselessly beat the measure of life, made one think of the destruction of the island and its engulfment in the sea, and warned her whose days had slipped past in one quick doing after another that it was all ephemeral as a rainbow [...]. (pp. 27 – 28)

In alledem erscheint zumindest dem kleinen James der Leuchtturm als ein Ziel, das er erreichen möchte. Für ihn ist es der größte Wunsch, zum Leuchtturm fahren zu können; seine Mutter ist die einzige Erwachsene, die ihm diesen Wunsch erfüllen möchte, auch wenn der Leuchtturm für sie eher für Einsamkeit steht, das Abgeschottetsein von der Welt.

Soweit meine ersten Gedanken zu diesem Roman.
Den ersten von drei großen Abschnitten habe ich damit zur Hälfte gelesen. “The Window” heißt er. Aber warum der Name des Abschnitts so passt, das hebe ich mir fürs nächste Mal auf.



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